2. Bindung und Vertrauen anstatt Leckerli

DIE FÜNFTE WICHTIGE FRAGESTELLUNG

Eine Hunde-/Wolfsmutter geht mit ihren acht Welpen/Junghunden, ohne Leine, entspannt und gesammelt längere Strecken laufen.

Warum schafft der Mensch das nicht mit einem Hund, mit oder ohne Leine?

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Der wichtige Unterschied zwischen

Beziehung - Bindung - Sozialisierung - Erziehung - Ausbildung.

Lernprozesse und soziale Unterstützung anstatt Leckerli.

2.1 Was der Hund braucht, um balanciert, glücklich und zufrieden zu sein.

Selbstverständlich braucht ein Hund mehr als Futter, Wasser und Schlaf und Spiel, um balanciert, glücklich und zufrieden zu sein. Wichtig zu erkennen ist, dass der Hundehalter sich immer wieder objektiv und aus Sicht seines Hundes fragt «bekommt mein Hund wirklich, was er benötigt? Macht er einen rundum zufriedenen und entspannten Eindruck?»

Auch hier orientiere ich mich gerne an anerkannte Forschung und Modelle, und verzichte auf subjektive Meinungen. Eine gute Richtschnur bildet die Erkenntnisse von Abraham Maslow, welche in der sog. Maslowschen Pyramide zusammengefasst werden. Diese wurde zwar in Bezug auf Menschen erstellt, aber man hat gesehen hat, dass sie auch auf Wölfe/Hunde zutrifft, insbesondere die vier unteren Stufen.

Die Form einer Pyramide zeigt auch eine Hierarchie auf und dass eine korrekte Gewichtung der Stufen, von unten nach oben, von Bedeutung ist. D.h. Nahrung ist wichtiger als ein neues Spielzeug.

Die ersten vier Bedürfnisse, werden als «Defizitbedürfnisse», oder «Essentielle Bedürfnisse» bezeichnet. Defizitbedürfnisse können nur gestillt werden, wenn man genug von diesem Gut bekommt. Ein grundlegendes Defizitbedürfnis ist der Hunger. Wenn man genug gegessen hat, ist man satt und der Hunger ist gestillt.  Nichtbefriedigung der Defizitbedürfnisse, sagte Maslow, könne zu physischen und psychischen Störungen führen.

Die Bedürfnisse entwickeln sich von unten nach oben, d.h. sind die physischen und sozialen Bedürfnisse gedeckt, dann entwickeln sich die sozialen Bedürfnisse, z.B. Familie, Freundschaft, Zugehörigkeit, Beziehung, Zuneigung.

Tritt plötzlich ein Jobverlust, oder Essensknappheit ein, dann stehen wieder die untersten Ebenen im Fokus und die Yogastunde verliert an Wichtigkeit.

Wenn das Modell auf Wölfe/Hunde appliziert wird, kann es deshalb wie folgt aussehen:

Über all die Jahre mit Hundeverhalten stelle ich fest, dass die Defizitbedürfnisse eines Hundes oft nicht ausreichend gedeckt sind. Defizitbedürfnisse sind die grundlegenden Bedürfnisse des Hundes und können nur gestillt werden, wenn der der Hund genug von diesem Gut bekommt. Ein grundlegendes Defizitbedürfnis ist Nahrung. Wenn der Hund genug gegessen hat, ist er satt und strebt nun danach, ein anderes Bedürfnis zu erfüllen.

  1. Die physiologischen Bedürfnisse sind bei einer Mehrheit der Hunde grösstenteils gedeckt, obwohl es hier Ausnahmen geben. Vielen Hunden würde aber mehr artgerechte Bewegung und anderen Hunden etwas weniger Bewegung, oder weniger belastende Bewegung guttun. Trotzdem habe ich diese Stufe in hellgrüner Farbe hinterlegt.
  2. Hingegen werden die Sicherheitsbedürfnisse bei den erwähnten 70% der Hunde mit auffälligem Verhalten bei weitem nicht gedeckt! Der Hundehalter unterschätzt die Wichtigkeit massiv und überlassen es dem Hund, selbst zu probieren, mit den Konfrontationen und unbekannten Momenten klarzukommen.
    Artgerechte Erziehung fehlt – wer bringt dem Hund bei, wie er, in für ihn schwierigen Momenten, mit der Situation gelassen umgehen kann, so wie eine erfahrene Hunde- oder Wolfsmutter dies tun würde? In sehr vielen Fällen sollte diese Stufe in dunkelroter Farbe hinterlegt werden!
  3. Auch die sozialen Bedürfnisse kommen oft zu kurz, insbesondere wenn es darum geht, dass der Hund eine definierte Rolle/Auftrag in seinem Rudel/Familie hat. Bei «sinnlosen» Spaziergängen sucht der Hund sich seine eigenen Aufgaben, rennt hin und her, sucht Anschluss bei den Artgenossen und verliert die ohnehin schwache Verbindung zum Halter.

    Der Hundehalter suggeriert dann, dass sein Hund einen grossen Freiheitswillen hat und deshalb hyperaktiv ist. Tatsache ist aber, dass der Freiheitswille eines Tieres (und eines Menschen) zwar ein Bedürfnis ist aber, dass das Sicherheitsbedürfnis den Freiheitswillen bei weitem überwiegt. In vielen Fällen handelt es sich beim Hin- und Her rennen um Stressabbau und Unsicherheit.

  4. Hingegen werden heutzutage die Individualbedürfnisse auf Lob und materielle Belohnung reduziert. Es wird unproportional viel, oft falsch und im falschen Moment gelobt, d.h. das Lob wird eher kontraproduktiv. Die Absicht des Hundehalters ist zwar lobenswert, aber die Wirkung zeigt sich im Verhalten der 70% der Hunde.

  5. Die Selbstverwirklichung, welche Maslow als ein Wachstumsbedürfnis bezeichnet, trifft eher für Menschen und ihr Verlangen, die eigenen Wachstums-Potenziale auszuschöpfen zu. Ich sehe (noch) keine fundierte Übertragung auf Wölfe/Hunde, da sie sich in der Natur mehrheitlich zwischen den ersten drei Stufen bewegen. Ihr Alltag besteht mehrheitlich aus den Defizitbedürfnissen «ich möchte Nahrung finden», «ich möchte nicht gefressen werden» und wenn möglich «ich möchte mich vermehren».

    Allerdings sehe ich oft Hunde, die den Anschein wecken, im Selbstverwirklichungsmodus unterwegs zu sein ;-).

Nachfolgend befassen wir uns damit, was wir als Hundehalter tun können und sollten, damit die Bedürfnisse eines Hundes richtig gedeckt werden und er glücklich und zufrieden sein kann.

2.2 Hunde brauchen ein soziales Umfeld, oder «Rudel», in dem sie sich entwickeln können. Deshalb sollten Hundehalter und -trainer unbedingt die Sprache der Hunde lernen.

Zuerst ein kurzer Exkurs in die Verhaltensbiologie:

Aus verhaltensbiologischer Sicht entsteht eine BEZIEHUNG zwischen Halter und Hund dann, wenn sich ein vorhersagbares Muster von Verhaltensweisen entwickelt, welches der Hund bei anderen Menschen nicht, oder kaum, zeigt bzw. ein Mensch nicht, oder kaum, bei anderen Hunden zeigt. Man spricht hier von einer sozialen Beziehung.

Aus verhaltensbiologischer Sicht hat eine BINDUNG eher mit familientypischem Verhalten zu tun, z.B. soziale Paarbindung im Rudel,  soziale Unterstützung und gegenseitiger Support in belastenden und Stress verursachenden Situationen. Selbstverständlich gehört auch die Eltern-Kind Bindung bei den Hunden und Wölfen dazu. Auch die Erweiterung der Familie, was z.B. in Wolfsrudeln zu sehen ist, wo Rudelmitglieder gewisse Funktionen in der eigenen oder in einer «anderen Familie» desselben Rudels übernehmen. Auch sieht man in den Rudeln, dass die zweite Stufe oft eine Verantwortung für die Ausbildung von jüngeren Mitgliedern übernimmt, z.B. Jagdverhalten.

Die Evolution des Haushundes hat dazu geführt, dass ein gut sozialisierter Haushund oft stärkere Tendenzen zeigt, sich dem Menschen, anstatt den Artgenossen zuzuwenden. Dies bedeutet, dass der Hund sowohl eine Beziehung führen wie auch eine Bindung zum Halter aufbauen kann.

Das Verhältnis Hund/Halter verändert sich markant, wenn die anfängliche BEZIEHUNG in eine BINDUNG weiterentwickelt wird. Die Voraussetzungen dafür müssen aber gegeben sein, was wiederum heisst, dass dies nicht automatisch geschieht.

Für den Hundehalter ist es deshalb wichtig zu erkennen, dass wenn die Grundlagen und das Umfeld, für jeden einzelnen Hund individuell, nicht vorhanden sind, auch die Voraussetzungen für die Sozialisierung, Erziehung und Ausbildung nicht ausreichend gegeben sind. Dies bedeutet wiederum, dass die Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Verhaltens sich erheblich erhöht.

Deshalb beginnt eine nachhaltige Sozialisierung, Erziehung und Ausbildung von Hunden mit der Ausbildung des «anderen Endes der Leine». Der Hundehalter muss erkennen und akzeptieren, dass er meistens der entscheidende Teil im Puzzle ist – es gibt nur sehr wenige echte «Problemhunde».

Die Ursache für die meisten Verhaltensauffälligkeiten ist eine nicht ausreichende Hund-Halter Bindung.

Der Hundehalter muss in der Lage sein, seinem Hund ein Umfeld zu geben, in dem er wirklich ein Hund sein kann. Er muss sich geschützt und sicher fühlen, artgerechte Bewegung bekommen, artgerecht lernen, spielen und Erfahrungen sammeln können. Zudem benötigt er, nicht zuletzt um sich aufgehoben zu fühlen, klare und authentisch konsequent umgesetzte Leitplanken (mehr dazu im Kapitel 2.13).

Der Hundehalter muss lernen, seinen Hund vorausschauend, ruhig und souverän zu «lesen», coachen, begleiten und führen, damit der Hund zum Hundehalter Vertrauen aufbauen kann. Nur wenn der Hund Vertrauen entwickelt und sich sicher und aufgehoben fühlt, kommt er zu Ruhe und ist er in der Lage, sich zu konzentrieren und zu lernen. Dabei lernt und erfährt der Hund auch, dass der Hundehalter seine beschützende Verantwortung wahrnimmt, was wiederum die Voraussetzung für ein belastbares Grundgehorsam und Sozialverhalten ist. Der Hundehalter ist der Mentor, Coach und sinnbildlich der «Rudelführer» seines Hundes (s. Beispiel im Kapitel 2.8).

Die richtige Sozialisierung und Erziehung des Hundes dienen dazu, dass der Hund lernt, innerhalb welchen Rahmens er sich frei bewegen und entfalten kann. Durch die soziale Unterstützung des Hundehalters entsteht eine vertiefte Bindung und Vertrauen zwischen Halter und Hund, in welcher der Hund lernt, mit seinen Freiheiten verantwortungsbewusst umzugehen und der Hundehalter sich traut, ihm auch diese Freiheiten uneingeschränkt zu geben.

Ohne jetzt auf Details einzugehen ist es aber wichtig für den Hundehalter und Hundetrainer zu verstehen, dass hier Hormone im Spiel sind:

Oxytocin reduziert die Ausschüttung von Stresshormonen und Anzeichen von Stress, was wiederum die Fähigkeit zum sozialen Lernen (siehe unten) erhöht und eine zentrale Rolle beim Bindungsaufbau spielt.

Vasopressin ermöglicht dem Hund auch den Halter und/oder Beziehungspartner im Rudel zu erkennen, z.B. Geruch, Stimme, Bewegung, Aussehen. Vasopressin hat auch einen Einfluss auf die Bereitschaft einen Sozialpartner vehement zu verteidigen. Bei einer eher oberflächlichen Beziehung besteht tendenziell aber die Möglichkeit, dass der Hund die empfundene Schwäche «ausnutzt» und gegen den Hundehalter bzw. Sozialpartner aufmüpfiger agiert.

Dann kommen wir noch zum Hormon Dopamin, welches dem Hund in freudige Erwartungshaltung setzt, vorausgesetzt er empfindet diese bereits bekannte Situation als angenehm. Wenn das Dopaminsystem durch Oxytocin aktiviert wird freut sich der Hund auf das Zusammensein mit dem Halter und will mit ihm kooperieren und etwas unternehmen.

So wird wahrscheinlich klar, auch aus verhaltensbiologischer Sicht, was benötigt wird, damit ein Team, eine Einheit entsteht. Hund und Hundehalter bieten sich gegenseitig ihre Kooperation an und wollen miteinander arbeiten und lernen. Der Hund baut zu seinem Halter eine belastbare Beziehung und Bindung auf, nicht zu Spielzeugen, Leckerlis und anderen Hunden, welche richtigerweise sekundär werden

2.3 Rituale und Routinen

Auch benötigt der Hund Rituale und Routinen, welche als Stützen im Alltag dienen und ihm eine Struktur geben. Unterschätzen Sie nicht die Wichtigkeit von artgerechter, emotionaler und körperlicher Nähe. Lernen Sie z.B. warum gewisse Hunde immer auf etwas Abstand von ihrem Halter bleiben, was das sogenannte «Kontaktliegen» in einem Rudel bedeutet und geben Sie Ihrem Hund, was er benötigt und in seiner eigenen «Sprache».

Insbesondere bei unsicheren, ängstlichen und unausgeglichenen Hunden ist ein strukturierter Alltag, Rituale und Routinen von sehr grosser Bedeutung. In der Natur ist Angst nicht nur ein Lernprozess, sondern auch ein Überlebensgarant. Nur vorsichtige Wölfe und Hunde leben lange. Das Alarmsystem triggert eine Reaktion auf einen Angstauslöser und hilft dem Hund zu entscheiden, wie mit der Situation umgehen – genau wie beim Menschen.

Der Hundehalter muss aber sicherstellen, dass die Auslöser von Angst beim Hund sich nicht durch Fehlverknüpfungen verselbstständigen und zu Angstaggression führen, sondern durch Lernprozesse und Desensibilisierung rechtzeitig abgewendet werden können. Deshalb ist das Umfeld, wie oben beschrieben, von sehr grosser Bedeutung – die Mehrheit der Verhaltensauffälligkeiten entstehen aus Angst oder Unsicherheit.

Unix – 8 Wochen alt

2.4 Der wichtige Unterschied zwischen Beziehung, Bindung, Sozialisierung, Erziehung und Ausbildung

Oder warum 70% der Hunde auffälliges Verhalten zeigen und warum die Mehrheit der Hundeschulen bei 70% der Hundehalter nicht nachhaltig erfolgreich sind:

Wie oben beschrieben ist die BEZIEHUNG eine Vorstufe von einer BINDUNG zwischen Hund und Halter. Genau wie in der zwischenmenschlichen Beziehung entsteht eine BINDUNG wenn Vertrauen, Respekt, Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit, Authentizität etc. entsteht. Damit der Hund in der Lage ist, diese Zugehörigkeit zu empfinden, braucht er von seinem Halter auch ein hohes Mass an Ruhe, Souveränität, Authentizität, Belastbarkeit und Konsequenz. Wenn die Beziehung sich nicht in eine belastbare Bindung wandelt, wird der Hund auch nicht mit dem Halter kooperieren wollen, ausser möglicherweise über eine materielle Belohnung.

Unter SOZIALISIERUNG (soziales Lernen) versteht man den gesamten Lernprozess, welcher den Hund zu einem gesellschaftlich angepassten Wesen macht und umfasst auch die aktive Auseinandersetzung des Hundes mit den gesellschaftlichen Anforderungen. Die Sozialisierung hört nie auf, sondern findet während der gesamten Lebenszeit eines Hundes statt.

Die ERZIEHUNG ist Bestandteil der Sozialisierung. Darunter bezeichnet man die pädagogische Einflussnahme auf die Entwicklung und das Verhalten des Hundes, d.h. der Lernprozess, der den Hund befähigt, ruhig und gelassen auf die Umgebung zu reagieren und somit ein harmonisierendes Sozialverhalten zu erlernen.

Die Sozialisierung und Erziehung sind deshalb wichtige Bestandteile für die Entwicklung von einer Beziehung zu einer Bindung.

Unter AUSBILDUNG (formales Lernen) versteht man die Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, z.B. «Sitz!», «Platz!», Apportieren etc. In diesem Kontext verwende ich auch den Ausdruck «Aufgabenausbildung», um keine Verwirrung zu stiften.

Graphisch können wir die drei Eckpfeiler der Philosophie wie folgt darstellen:

 

2.5  Die Bausteine für die Entwicklung zu einem zufriedenen Hund, d.h. was Hundehalter und Hundetrainer zu tun haben

Aufgabe 1:
Eine starke und belastbare Beziehung als Fundament aufbauen, welche zunehmend zu einer Bindung entwickelt werden kann

Der Hundehalter muss die eigene Kompetenz (Wissen, Können und Bereitschaft) aufbauen, damit er versteht, was der Hund benötigt, um sich aufgehoben und sicher zu fühlen. Nur so kann eine starke Bindung zwischen Hund und Halter Schritt für Schritt aufgebaut werden (s. Kap 2.1. «Sicherheitsbedürfnisse»).

Im Beispiel der unerwünschten Verhaltens-Symptomen im Kapitel 1.8 geht es darum zu erkennen, dass das Sozialverhalten des Hundes aus dem Lot geraten ist, oder vielleicht, nie richtig im Lot war. Dies bedeutet wiederum, dass es nicht um ein «abtrainieren» der erwähnten Symptome geht, sondern darum, dass das erforderliche Fundament in Form von Wissen, Können und Einstellung des Hundehalters nicht mit den Anforderungen des eigenen Hundes übereinstimmt.

Das Sozialverhalten artgerecht und nachhaltig zu verbessern bedeutet meistens, dass die Beziehung, Bindung und Erziehung verbessert werden muss, was nur über Lernprozesse erfolgen kann, d.h. artgerechte Erziehung. Genau so wie eine Mutter ihre Welpen, und später die Rudelmitglieder die Jungtiere sozialisieren und erziehen.

Zu oft hört die artgerechte Erziehung auf, wenn der Welpe abgeholt wird. Plötzlich gelten die Regeln aus der Menschenwelt, die auch mit menschlichem Denken und Grauzonen mehr oder weniger konsequent umgesetzt werden. Meistens wird dazu Erziehung mit Ausbildung verwechselt – kein Wunder fehlt dem Hund fehlt ein aus Hundesicht belastbares Fundament.

Der Hundehalter muss lernen:

  • Die Sprache der Hunde zu verstehen und artgerecht – nicht menschengerecht – mit dem Hund zu kommunizieren
  • Lernen, das eigene Verhalten zu reflektieren. Buck Buchanan sagte: «Dein Pferd ist ein Spiegel deiner Seele. Manchmal wird dir nicht gefallen, was du siehst, manchmal aber doch.» Auch der Hund ist ein Spiegelbild des Halters
  • Die eigene Feinfühligkeit zu entwickeln, sehr aufmerksam zu beobachten und in der Arbeit mit dem noch nicht stabilen Hund, 100% konzentriert zu sein.

Der Hundehalter kann von seinem Hund nur das verlangen, was er selbst authentisch vorlebt, d.h. wenn er Vertrauen, Respekt, Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit, Belastbarkeit, Stabilität, Ruhe und Souveränität von seinem Hund erwartet, muss er dies auch vorleben. Je mehr Voraussetzungen der Hundehalter mitbringt, desto einfacher wird es für den Hund sich davon zu überzeugen, dass er beim richtigen Halter ist.

Der Hundehalter darf die Wichtigkeit von gemeinsamer Bewegung nicht unterschätzen. Lange Strecken «als Rudel» unterwegs zu sein fördert die Beziehung und Bindung.

Nähe, Zuneigung, Spass, soziale Unterstützung ist ein wichtiger Bestandteil des Alltags bei den Wölfen und den frei lebenden Hunden. Die Zusammengehörigkeit ohne Erwartungshaltung bewusst zu erleben schafft Bindung.

Aufgabe 2:
Für Sozialisierung und Erziehung sorgen

Sozialisierung ist der Lernprozess, der den Hund befähigt, ruhig und gelassen auf die Umgebung zu reagieren. Erziehung wird definiert als die Einflussnahme des Hundehalters, welche den Hund mit den Erwartungen der Gesellschaft kompatibel macht. Hier wird die nahtlose Brücke zwischen Befriedigung der Sicherheitsbedürfnisse und der sozialen Bedürfnisse des Hunden geschlagen (s. Kap 2.1. «Sicherheitsbedürfnisse» und «Soziale Bedürfnisse»).

Der Hundehalter muss seinen Hund fördern, damit der Hund lernt:

  • Sich in der Gesellschaft unauffällig zu verhalten
  • Sich an die Umwelt und Gesellschaft anzupassen
  • Sich am Menschen zu orientieren
  • Mit dem Menschen zu kooperieren
  • Sich gegenüber anderen Tieren und Artgenossen korrekt zu verhalten.

Dann muss der Hundehalter ein korrektes Verhalten von seinem Hund einfordern, damit der Hund:

  • Den Halter als authentischer Mentor und Bezugsperson wahrnimmt
  • Vertrauen und Zugehörigkeit zum Halter entwickelt
  • Regeln, Leitplanken und Grenzen akzeptiert
  • Benimmregeln / Grundgehorsam vorzeigt.

Selbstverständlich findet eine Wechselwirkung zwischen Beziehung, Bindung, Sozialisierung und Erziehung statt. Korrekte Sozialisierungs- und Erziehungsarbeit stärkt die Beziehung und die Bindung, weil Hund und Halter damit gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Die gestärkte Beziehung und Bindung ermöglichen wiederum eine bessere Sozialisierung und Erziehung. In dieser Arbeit haben Leckerlis nichts zu suchen.

In der heutigen Zeit sehe ich zunehmend, wie Hundehalter sowohl Ihre diesbezügliche Verantwortung, wie auch die dafür erforderliche Zeit unterschätzen und vernachlässigen. Die Verantwortung für die Sozialisierung und Erziehung trägt der Hundehalter. Der Beziehungs- und Bindungsaufbau kann man nicht delegieren, auch nicht zum Hund.

Aufgabe 3:
Für artgerechte Beschäftigung und artgerechte Ausbildung sorgen

Hier handelt es sich um Ausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, damit der Hund z.B. weitere Aufgaben übernehmen kann. In der Maslowschen Pyramide befinden wir uns jetzt aus Sicht des Hundes im oberen Teil der «Sozialen Bedürfnisse», und aus Sicht des Menschen, auf der fünften Stufe, «Selbstverwirklichung» ;-). 

Hierzu gehören zum Beispiel:

  • Grundausbildung: Fuss, Sitz, Platz, Bleib, Hier, Arbeit ohne Leine etc.
  • Weiterbildung: Apportieren, Fährtenarbeit, Flächensuche, Begleithund-Ausbildung, Agility etc.
  • Spezialausbildung: Begleit-, Behinderten-, Therapie-, Dienst-, Lawinen-, Katastrophen-, Drogen-, Sprengstoffhund etc.
Je weiter man in der Ausbildung vom Hund gehen möchte, umso wichtiger ist das stabile Fundament, eine vertrauensvolle Beziehung, Bindung, Sozialisierung und Erziehung. Auch sollte man keinesfalls glauben, dass Mängel in der Beziehung, Bindung, Sozialisierung oder Erziehung durch Ausbildung kompensiert werden können, wie z.B. sinnloses Ballwerfen oder Kunststücke einfordern.

Dies bedeutet, dass ich mich zuerst der Beziehung, Sozialisierung und Erziehung widme, damit mein Hund ein stabiles (Bindungs-) Fundament bekommt und die Defizitbedürfnisse befriedigt sind. Darauf kann ich dann schrittweise Ausbildung aufbauen – je besser das Fundament (Bindung, Sozialisierung und Erziehung), desto einfacher und nachhaltiger geht die Ausbildung.

D.h. solange mein Hund nicht ohne Leine entspannt neben mir laufen kann oder möchte, weil er sich nicht ausreichend beschützt und aufgehoben fühlt, muss ich mich nicht fragen, warum der Abruf auf Distanz nicht belastbar funktioniert.

Sowohl die Prioritäten, Aufgabe 1 und Aufgabe 2, wie auch die Reihenfolge, von Aufgabe 1 bis 3 und nicht umgekehrt, müssten nun für jeden Hundehalter logisch nachvollziehbar sein.

2.6 Beziehung, Bindung, Sozialisierung, Erziehung oder Ausbildung - aber wie?

Oft sehe ich Hunde, die sich punkto Aufbaus in der unteren linken roten Ecke (A1, B1, C1) befinden, z.B. Strassenhunde, die aus dem Ausland eingeführt wurden, oder Hunde, welche falsches, oder unausgewogenes Training bekamen.

Der erste Schritt ist immer nach oben, d.h. die Beziehung zwischen Hund und Halter aufbauen oder verbessern. Leicht zeitversetzt kann man anfangen das Sozialverhalten in einer sehr ruhigen Umgebung, mit möglichst wenig Störfaktoren und Ablenkung, zu prägen. Wenn ich merke, dass eine Beziehung entsteht und die Zeichen einer Bindung zum Halter vorhanden sind, kann ich beginnen, die ersten Elemente der Erziehung einzubauen (siehe Definitionen oben). Ein Schritt nach oben, ein Schritt nach rechts, ein Schritt nach oben, ein Schritt nach rechts etc.

Verzichten Sie in diesem Stadium auf Ausbildung und Konditionierung mit Leckerlis oder Spielzeuge. Sie wollen, dass der Hund zu Ihnen eine Beziehung und Bindung aufbaut. Nehmen Sie Ihre Rolle als Coach wahr, bringen Sie sich ein, leben Sie vor, zeigen Sie Ihrem Hund, was Sie von ihm möchten, führen Sie ihn sanft und konsequent und loben Sie ihn authentisch und gezielt, für was er besonders gut macht und zeigen Sie ihm, dass Sie sich darüber freuen. So freut er sich, er lernt in seiner eigenen Sprache, will sich an Ihnen orientieren und mit Ihnen kooperieren.

Gehen Sie mit Ihrem ausgewachsenen Hund täglich 5 – 10 km zusammen «im Rudel» laufen, anstatt vier Mal hektisch 15 Minuten. So entsteht Ruhe und Gelassenheit, beide können ihre Werkzeugkästen aufbauen und das Risiko von Missverständnissen und Konflikten reduzieren.

Sobald Sie in der Lage sind, mit Ihrem Hund in einer ruhigen Umgebung, z.B. im Wald, anderthalb Stunden entspannt laufen zu gehen, können Sie die Umweltreize steigern und z.B. in eine ländliche Umgebung, mit etwas Verkehr, Lärm, Gerüche, Menschen und Artgenossen, laufen gehen. Wenn Ihr Hund auch in dieser Umgebung Gelassenheit und Anschluss zeigt, gehen Sie mit ihm in die Stadt und bauen Sie die Belastbarkeit weiter auf. Zeigt Ihr Hund Unsicherheiten bei einem der zwei Letztgenannten, gehen Sie eine Stufe zurück. Fühlen Sie sich noch etwas unsicher, steigern Sie die Belastung nicht, sondern arbeiten weiter auf dem bisherigen Niveau. Warum? Weil der Hund ihre Unsicherheit spürt und diese übernimmt. Die Vorstufe richtig aufzubauen ist immer die Voraussetzung für die nachfolgende Stufe.

Nutzen Sie die Gelegenheiten, die natürlich entstehen, um Ausbildung zu integrieren. Wenn er von sich aus Sitz macht, sagen sie «Sitz!» und loben Sie ihn, sobald er sitzt, «fein Sitz!». So fängt er an, das Wort Sitz mit seiner Handlung zu verknüpfen und die Ausbildung geht schnell vorwärts.

Die grüne Ecke, oben rechts, bedeutet Beziehung 3, Sozialisierung/Erziehung 3 und Ausbildung 1, was für die meisten Familienhunde mehr als ausreichend ist. Hund und Halter sind zufrieden! Auch die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Hund fängt an, neue Dimensionen anzunehmen. Insofern es gewünscht wird, kann jetzt die gemeinsame Reise auf der Ausbildungsachse, in die dritte Dimension, anfangen.

Wenn ich meinem Hund z.B. «Leinenführigkeit» beibringen möchte, geht das um ein Mehrfaches einfacher, schneller und nachhaltiger, wenn mein Hund sich bei mir wohl und aufgehoben fühlt – dann will er sich bei mir aufhalten, zeigt Anschluss und ist aufmerksam. Auch für «Rückruf» gilt genau dasselbe – wenn mein Hund sich gerne bei mir aufhält, muss ich den Rückruf nicht sonderlich ausbilden oder trainieren, sondern er kommt freudig, sobald ich ihn rufe.

Eine gute und belastbare Beziehung und Bindung zwischen Hundehalter und Hund ist eine Voraussetzung für die erfolgreiche Sozialisierung, Erziehung und Ausbildung. Erkennt der Hundehalter nicht, dass die Beziehung und Bindung nicht ausreichend ist, greift er oft zu Leckerlis oder Zwang, was nicht zielführend ist!

Deshalb bin ich auch kein Befürworter davon, dass man einem unsicheren Hund, der zu seinem Halter zu wenig Anschluss zeigt, mit Leckerlis oder Spielzeuge probiert davon zu überzeugen. Dann zeigt der Hund möglicherweise «Pseudo-Leinenführigkeit», aber nur so lange er etwas Materielles als Belohnung bekommt. Danach ist er wieder weg und zwar dorthin, wo er sich wohler, sicherer und aufgehobener fühlt.

Genau das Gleiche ist der Fall, wenn der Aussenreiz (Reh, Hase, Fahrrad, anderer Hund etc.) stärker wird als der Wunsch etwas Materielles zu bekommen. Oft erlebe ich Hunde, die ausserhalb ihrer gewohnten Umgebung gar nicht auf Leckerlis, oder Spielzeuge ansprechen, weil sie sich z.B. zu unsicher fühlen, oder Angst haben. Oder, sie holen sich schnell ein Leckerli und hauen wieder ab. Hunde sind Opportunisten …

Gleichzeitig sehe ich aber auch das Gegenteil. Vor ein paar Jahren hatte ich eine Begegnung mit einem extremen Spielzeug Junkie – ohne ihre Beisswurst ging nichts und ihre volle Konzentration galt der Beisswurst. Seine Halterin war für die Hündin inexistent und wurde höchstens als «die Person mit der Beisswurst» wahrgenommen. Wie war es so weit gekommen?

Die Beagle-Hündin wurde schon als sehr jung auf ihre Rolle als Spürhund im Gepäckraum am Flughafen vorbereitet und ausgebildet. Der grösste Teil ihrer Jugend bestand darin, mit der Nase zu arbeiten und für Erfolge, mit der Beisswurst belohnt zu werden. Obwohl die Hündin sehr gut arbeitete, kam die Halterin zu mir, weil sie im Privatleben mit dem entstandenen Suchtverhalten ihrer Hündin überfordert war. Als die Halterin verstand, was hier passiert war und wie die Dynamik mit den Hormonen und den drei Eckpfeilern ABC funktionieren, war ihr alles klar und sie wusste, was sie zu tun hatte.

Deshalb ist es wichtig, das Wort Bindung im Sinne «Vertrauen/Bindung zum Menschen» zu verstehen und nicht im Sinne von «Bindung zum Materiellen», d.h. Leckerlis, Spielzeuge etc. Bestimmt haben Leckerlis einen Stellenwert in der Ausbildung von Hunden, aber aus meiner Sicht erst dann, wenn es um die Perfektionierung von einem bereits ausgebildeten Lernschritt geht.

In der Sozialisierung und Erziehung muss der Hundehalter sich wesentlich intensiver einbringen, als was ich heute generell sehe. Die Erziehung eines Hundes kann nicht auf Abstand, mittels App, Fernbedienung, Hundetrainern, Leckerli, Spielzeuge oder Spiel mit Artgenossen erledigt werden!

Ich hoffe, ich habe nachvollziehbar erklärt, warum 70% der Hunde auf dem Spaziergang Verhaltensauffälligkeiten zeigen und warum viele Hundehalter und Hundetrainer ihre Kompetenz unbedingt verbessern müssen.

Die international bekannte Ethologin am Institut für Haustierkunde der Universität Kiel, Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen schrieb mir: «Man löst Probleme und Konflikte nicht mit Leckereien. Es sind soziale Konflikte, die der Mensch mit dem Hund regeln muss. Statt Salami, Bindung und Vertrauen, den abgesteckten Rahmen, in dem sich der Hund frei verhalten kann, und der ihm soziale Sicherheit bietet.»

DIE SECHSTE WICHTIGE FRAGESTELLUNG

Ist es somit möglich, dass ein gut ausgebildeter, aber schlecht erzogener Hund, perfekt «Sitz!, Platz!, Bleib!» ausführt, aber zugleich z.B. respektlos mit Menschen oder Artgenossen umgeht?

2.7 Welches unerwünschte Verhalten zeigt mein Hund, welches sind die Ursachen und über welche Bausteine, in welcher Reihenfolge, kann ich diese beheben?

Unabhängig davon, ob ein Hund problematisches Verhalten zeigt, oder nicht, eine vertrauens- und respektvolle Beziehung und Bindung ist die Voraussetzung für eine gute Sozialisierung & Erziehung, was wiederum die Voraussetzung für eine belastbare Ausbildung ist. Das heisst, unglückliche Hunde, Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten entstehen dann, wenn Hundehalter und Hundetrainer die wichtigen Abhängigkeiten nicht ausreichend berücksichtigen.

  • Ein Hund, der die ruhige und gelassene Freiablage nicht schafft, weil er immer noch unsicher ist, braucht meistens eine Kombination von stärkerer Beziehung, Bindung, Sozialisierung und Erziehung. Ausbildung wäre hier nicht zielführend und eher als Manipulation oder Bestechung zu betrachten.
  • Bei einem Hund der sich immer wieder von der Sitz-/Bleib-Position löst, geht es nicht primär um Aufgabenausbildung, sondern zuerst bei sich selbst zu prüfen, was die mögliche Ursache ist. Sehr oft hat es damit zu tun, dass der Hundehalter gelernt hat, den Hund zu loben, wenn möglich sogar mit Leckerlis, wenn er zu ihm kommt. Der Hund versteht aber nicht, dass er sowohl für das Bleiben, wie auch für das Kommen belohnt wird – das ist menschliches Denken – sondern nur für das Kommen. So hat er zunehmend gelernt, sich aus dem Sitz zu lösen.
    Deshalb rufe ich einen Hund, der sich im Aufbau befindet, niemals ab, sondern geht ihn dort abholen, wo man ihn platziert hat. So lernt er, dass Sitz tatsächlich Sitz bedeutet, dass er abgeholt wird und sich keine Sorgen machen muss, dass man ihn dort vergisst. Als der Hundehalter zum Hund zurückkommt, stellt er sich in die Ausgangsposition, der Hund belibt in Position Sitz links vom Halter, sobald wieder Entspannung eintritt, wird der Hund dafür ruhig gelobt, «fein Sitz». Also, hier muss zuerst das Wissen/Können beim Hundehalter aufgebaut werden, damit die Beziehung gestärkt werden kann.
  • Ein Hund, der Aggression gegen Artgenossen zeigt, weil er sich beim Halter nicht aufgehoben und sicher fühlt, braucht primär eine bessere Hund-Halter Beziehung und Bindung, nicht Ablenkung, Ausbildung und Konditionierung.
  • Damit ein Hund zuverlässig und belastbar wird muss die Beziehung und Bindung zum Halter aufgebaut und der Sozialisierung und Erziehung viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ansonsten fehlt dem Hund die notwendige Stabilität und soziale Sicherheit, welche auch als Basis für die spätere Ausbildung dienen.

2.8 Der Werkzeugkasten des Hundes

Wenn «Verhaltensauffälligkeit» das einzige Werkzeug im Werkzeugkasten eines Hundes ist, wird er auf herausfordernde Situationen mit «Verhaltensauffälligkeit» reagieren, weil er nicht weiss, dass er andere Möglichkeiten hat.

Die Erweiterung des Werkzeugkastens besteht mehrheitlich aus Lernprozessen und Entwicklung, d.h. primär Beziehung, Sozialisierung und Erziehung. Ausbildung ist hier sekundär. Von «Quick-Fix» Lösungen und materieller Manipulation rate ich bekanntlich bestimmt ab.

Lernen Sie über Hunde und Wölfe, über ihre Sprache, Körpersprache und Signale. Lernen Sie, warum Ihr Hund die Position der Rute, der Ohren oder des Kopfes ändert und was das bedeutet.

Besorgen Sie gute Literatur und Filme über das Wesen und Verhalten von Wölfen und Hunde und verzichten Sie auf «Tricks & Tipps»-Literatur und Ratschläge. Eine Korrekturbrille mag für den Einen perfekt, aber für den Anderen unbrauchbar sein.

Verinnerlichen Sie den Unterschied zwischen Sozialverhalten und die Fähigkeit «Sitz!, Platz!, Bleib!, Komm!»-Kommandos auszuführen – und erkennen Sie deshalb auch die unterschiedlichen Anforderungen im Training.

Es gibt nichts, was eine artgerechte Haltung und Entwicklung Ihres Hundes ersetzen kann. Jeder Hund ist individuell und doch im Wesen ähnlich. Ziehen Sie kompetente Hundetrainer und -Experten rechtzeitig dazu, wenn Sie nicht sicher sind.

Beobachten – lernen, beobachten – lernen, beobachten – lernen!

2.9 Die eigene Führungsverantwortung wahrnehmen

Eine der wichtigsten Aufgaben eines Hundehalters ist es, den Hund richtig zu lesen und ihm Unterstützung im Verhalten zu geben. Bei weitem die grösste Ursache für das «Fehlverhalten» des noch instabilen Hundes ist, dass der Hundehalter nicht rechtzeitig erkennt, dass seine Führung und soziale Unterstützung verlangt wird.

Viele Hundehalter schauen zwar ihren Hund ununterbrochen an, aber sehen nicht, oder nehmen nicht wahr, was der Hund mit seiner Körpersprache und Körperspannung kommuniziert. «Wie aus dem Nichts rastet der Hund plötzlich aus, greift an, oder fängt hysterisch an zu bellen. Wenn ich dann probiere einzugreifen, wird es nur noch schlimmer» etc. erzählt man mir und zeigt mit dem Zeigefinger auf den Hund.

Tatsache ist aber, dass dabei drei Finger auf den Hundehalter zeigen.

Kein Hund explodiert von «null auf hundert» im gleichen Bruchteil einer Sekunde. Schaut man den Vorfall in einem Film in stark verlangsamter Geschwindigkeit an, sieht man, dass zuerst etwas passiert ist (Reiz), was zu erhöhter Aufmerksamkeit des Hundes führte. Darauf folgte die körperliche Anspannung, meistens gefolgt von einer eindeutigen Körpersprache, Starre, Fixation etc. Dann wählte der Hund sein Verhalten für die Situation und reagierte. 

Der Prozess kann länger dauern, je nachdem wie weit entfernt sich «der Reiz» befindet, oder wie intensiv dieser ist. Bei einem Reiz/Hund auf 50 Meter Distanz ist es meistens noch nicht schlimm. Die kritische Grenze wird aber bei den meisten Hunden innerhalb eines Radius von ca. 6 Metern überschritten.

Was hier tatsächlich aber passierte ist, dass der Hund seinem Halter zuerst Signale gab, «ich brauche deine Hilfe, eine potentielle Konfrontation kommt auf uns zu», aber der Hundehalter reagierte nicht darauf bzw. zeigte seinem Hund nicht, dass er die Situation und den Hilferuf seines Hundes aus verstanden hatte.

Der Hund musste weiterhin selbst probieren mit der Situation klar zu kommen. Der Druck nahm zu, die Signale vom Hund wurden zunehmend eindeutiger, aber der Halter reagierte weiterhin nicht darauf. Dann wurde die 6m Grenze erreicht und die Eskalation war perfekt. Der Hund befand sich im roten Bereich und reagierte nicht mehr auf die Signale des Hundehalters. Wie oft haben wir schon so etwas gesehen?

Jetzt drehen wir den Film wieder zurück und fangen nochmals von vorne an, aber dieses Mal machen wir es richtig:

  • Der Hundehalter hört lachende Stimmen auf grossem Abstand und denkt vorausschauend «Es ist ja möglich, dass diese Menschen einen Hund dabei haben»
  • Deshalb leint er seinen Hund an, bewegt sich auf die Seite des Waldweges und führt seinen Hund auf der abgewandten Seite von der möglichen Konfrontation, d.h. er kommuniziert rechtzeitig mit seinem Hund «ich habe was gemerkt und sorge für unsere Sicherheit» und zeigt dabei, dass er seine Führungsverantwortung wahrnimmt
  • Der Hundehalter schaut auch auf seine Körperhaltung und stellt sicher, dass diese gerade und «souverän» ist
  • Der Hundehalter erhöht das Tempo, damit sein Hund wirklich geführt wird, ohne dabei hektisch oder ängstlich zu wirken
  • Wenn die Parteien sich näher kommen, nimmt er seinen Hund etwas mehr hinter sich, aber behält Tempo und Körperhaltung bei. So zeigt er seinem Hund, dass er ihn beschützt und dazwischen steht. Nicht so, wie die meisten Hundehalter, die sich hinter ihrem Hund verstecken nach dem Motto «Keine Angst Fido, ich beschütze Dich von hinten …»
  • Der Hundehalter merkt aber, dass die entgegenkommende Partei den Hund an einer Flexleine haben und dieser immer noch unkontrolliert kreuz und quer unterwegs ist. Deshalb bittet er auf Abstand freundlich darum, dass die andere Partei ihren Hund kürzer nehmen und ev. auf die andere Seite führen, weil sein Hund noch unsicher ist
  • Die andere Partei sichert ihren Hund und die zwei Hunde kreuzen sich auf maximalem Abstand von einander mit zwei Menschen dazwischen
  • Während den 6m vor, während und nach der Begegnung schaut der Hundehalter immer darauf, dass er sich zwischen seinem Hund und der potentiellen Konfrontation befindet, d.h. davor befindet sich sein Hund leicht hinter ihm, bei der Begegnung ist er neben ihm und danach kann er sich einen halben Meter vor ihm befinden.

Bestimmt wird die erste Begegnung nicht zu 100% perfekt klappen, aber Übung macht den Meister – nicht nur auf dem Tennisplatz. Wichtig für den Hundehalter zu verstehen ist, dass hier benötigt der Hund kein Training, sondern der Halter. Sobald der Halter zeigt, dass er die Situation souverän meistert, kommt der Hund zur Ruhe und fängt an sich selbst zu desensibilisieren.

Ein Hund kann zwar Verhalten vortäuschen, aber nicht seine Körperspannung und -Haltung. Deshalb ist es so wichtig, dass der Hundehalter lernt, die Körperspannung und -Sprache des Hundes zu sehen und darauf einzugehen. Eine veränderte Körperspannung oder Körperhaltung des Hundes ist für den Hundehalter ein Signal, die eigene Führungsverantwortung wahrzunehmen.

Schritt für Schritt wird der Hund lernen, dass er tatsächlich beschützt wird und sich so zunehmend entspannen. Je entspannter, desto aufnahmebereiter wird er sein, das neue Verhalten zu lernen.

  • Oft sehe ich Hundehalter, die bei einer Begegnung mit ihrem unsicheren Hund anhalten und stehen bleiben. Oft drehen sie sich sogar auf ihren Hund zu und damit den Rücken zur vermeintlichen Gefahr, anstatt dem Hund zu zeigen, dass er die Gefahr sieht und den Hund beschützt. Wesentlich besser ist aber in Bewegung zu bleiben – auch Wölfe und Hunde bauen Stress über Bewegung ab. Deshalb halte ich nicht bei einer Begegnung an, sondern laufe weiter, ausser ich kann mit meinem Hund mehr als 6m Abstand einhalten.
  • Den Hund in Sitz oder Platz zu befehlen ist kontraproduktiv und hat mit der Kernproblematik Angst und Unsicherheit nichts zu tun. Ein Hund der Sitz oder Platz machen muss, aber dies nicht von sich aus anbietet, fühlt sich dafür noch zu unsicher.
  • Bestimmt muss ich nicht darauf eingehen, warum Leckerlis in dieser Situation kontraproduktiv sind. Es ist auch völlig unwichtig, ob der Hund sitzt oder steht – wichtig ist die Körperspannung bzw. die Entspannung.

Der Hundehalter analysiert danach, was gut, was weniger gut gelaufen ist und was er bei der nächsten Begegnung besser machen muss. Der Hundehalter spielt den eigenen Film in langsamer Geschwindigkeit wieder ab und schaut jedes Detail an.

Ab jetzt nimmt der Hundehalter auch jede potentielle Hundebegegnung als Chance positiv wahr und wird dabei feststellen, dass er nach ca. 7-9 erfolgreichen Begegnungen gelernt hat, wie er seinen Hund führen muss.

Als Resultat fühlt sich der Hund sicher und aufgehoben, was er wiederum mit einer entspannten Körperhaltung und unauffälligem Verhalten zeigt.

Hund und Hundehalter sind zufrieden!

2.10 Abbruchsignale und Korrekturen

Eine immer wiederkehrende Frage, welche ich gerne aus meiner Sicht und Erfahrung beleuchte.

Ein ABBRUCHSIGNAL verwendet man, um ein Verhalten oder eine Tätigkeit abzubrechen. Mein Hund hat am Boden etwas was fürchterlich stinkt gefunden und ich will, dass er das sein lässt, weil wir zu Bekannten auf Besuch gehen. Hier kann man z.B. «Schht» verwenden.

Meine Erfahrung ist, dass ein Abbruchsignal neutral und nicht-emotional sein sollte, d.h. mein Hund sollte lediglich das, was er gerade vor hat, abbrechen. Deshalb empfehle ich lieber «Schht» als «Nein» oder «Lass das» etc.

Das Wort KORREKTUR ist ein unglücklich gewähltes Wort, da es meistens mit Gewalt, Prügel und psychologischem Druck in Verbindung gebracht wird. Dem ist aber nicht so!

Eine Korrektur hat mit Gewalt nichts zu tun, sondern ist Bestandteil der Erziehung (siehe Definition oben). Eine Korrektur verwende ich ausschliesslich dann, wenn der Hund etwas richtig gelernt hat und weiss, was er tun sollte, aber sich nicht daranhält, z.B. mein Hund ist im Umgang mit einem anderen Hund zu grob, oder «begrüsst» eine Person allzu stürmisch.

Hat mein Hund das erwünschte Verhalten nicht gelernt, verwende ich Abbruchsignal, da er eine Korrektur nicht verstehen würde.

2.11 Kalibrieren - die richtige Intensität von Energie bei Abbruchsignalen und Korrekturen

Korrekturen mache ich mit einem wohldosierten, tiefen und emotional kontrollierten «NEIN!» und möglicherweise einen Schubs zum Zeigen, dass dieses Verhalten gar nicht in Frage kommt. Je nach Stärke der benötigten Korrektur zeige ich auch mittels Körpersprache, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist.

Warum gebe ich bei etwas stärkeren Korrekturen unter Umständen einen Schubs? Weil der Hund sich dann oft in seiner eigenen Welt/Kopfkino/Rausch befindet und ich ihm mit dem Überraschungseffekt helfen kann, wieder ins Hier und Jetzt zu kommen. Sobald er sich im Hier und Jetzt befindet, zeige ich ihm, was ich von ihm möchte.

Beim Schubs handelt es sich um einen 200-300 Gramm Schubs in die Seite, nicht um einen Schlag. Meistens forme die Hand zu einer «offenen Tulpe» und schubse mit den Fingerspitzen, oder ich schubse ihn mit der Rückseite der offenen Hand.

Wie weiss ich, wie stark eine Korrektur sein muss? Meine Erfahrung zeigt hier, dass eine Korrektur, welche schwächer ist, als die Kraft/Energie, welche von meinem Hund für das unerwünschte Verhalten eingesetzt wird, nicht ausreichend ist. Genau so, wie eine zu starke Korrektur nicht verstanden und verarbeitet werden kann und deshalb eher zu Unsicherheit und Meideverhalten führt.

Deshalb erachte ich es als sehr wichtig, dass die Kraft der Korrektur (Stimme, Körperhaltung und Schubs) genau auf die Intensität des Fehlverhaltens zu kalibrieren und konsequent eine Stufe stärker zu korrigieren ist als das Fehlverhalten war. Bildlich gesprochen, wenn mein Hund mit einer Stärke 6 einen anderen Hund grob behandelt, korrigiere ich mit Stärke 7. Stärke 3 ist zu wenig und Stärke 9 ist zu viel.

Eine Korrektur muss unmittelbar passieren, innerhalb einer Sekunde, ansonsten verbindet mein Hund die Korrektur nicht mit seinem unerwünschtem Verhalten. Korrekturen, welche der Hund nicht versteht, führen zu Konflikten in der Beziehung mit dem Halter und zu Unsicherheiten beim Hund. Mit einer richtigen Korrektur lernt mein Hund sein eigenes Verhalten einzuschätzen und ich übernehme meine Verantwortung als Mentor und Coach. Lernt der Hund nicht die Stärke seines eigenen Verhaltens einzuschätzen, wird er auch nie lernen, was richtig wäre.

Wichtig zu verstehen und unterscheiden ist, dass eine Korrektur dem Hier und Jetzt gilt und keine Verurteilung oder Wertung des Hundes ist. Sobald der Hund sich entspannt und das erwünschte Verhalten zeigt, zeige ich meine Zufriedenheit. Wenn ich 100% sicher bin, dass keine Restspannung vorhanden ist, lobe ich ihn ruhig und authentisch. Warum erst zu diesem Zeitpunkt? Weil ich ihn unter keinen Umständen für seine An- oder Restspannung loben möchte, welche beim Hund zu Fehlverknüpfungen führen könnte.

Diese Art und Weise mit Korrekturen umzugehen hat sich bewährt und erfordert Feinfühligkeit beim Hundehalter.

Vergessen Sie nicht, eine vorausschauende Führung bedeutet, dass ich meine Verantwortung als Coach wahrnehme und meinem Hund vorlebe und zeige was ich von ihm möchte. Abzuwarten bis Fehler passieren und erst dann eingreifen hat mit Führung nichts zu tun und versetzt den Hund in eine trostlose Situation.

2.12 Belohnung und Bestrafung

Eine weitere, immer wiederkehrende Fragestellung, ist das Thema «Belohnung und Bestrafung», welches mit Abbruchsignalen und Korrekturen eng verwandt ist. Genau wie bei den Korrekturen, hat Bestrafung nichts mit Gewalt, Prügel und destruktivem Druck zu tun.

In der Lerntheorie, welche für mich als Vorgabe dient, werden die Begriffe wie folgt definiert:

Eine BELOHNUNG wird verwendet, wenn man möchte, dass ein Verhalten zunimmt. Hier trennt man zwischen positiver (+) und negativer (-) Belohnung:

Positive Belohnung (+):  Etwas Angenehmes wird hinzugefügt
Negative Belohnung (-): Etwas Unangenehmes wird entfernt, oder bleibt aus

Eine BESTRAFUNG wird verwendet, wenn man möchte, dass ein Verhalten abnimmt. Hier unterscheidet man zwischen positiver (+) und negativer (-) Bestrafung

Positive Bestrafung (+):  Etwas Unangenehmes wird hinzugefügt
Negative Bestrafung (-): Etwas Angenehmes wird entfernt

Der aufmerksame Leser erkennt sofort, dass im heutigen Hundetraining oft gesagt wird, dass man ausschliesslich mit  «positiver Belohnung/Bestätigung/Bestärkung» arbeitet, und dabei Belohnung/Bestätigung/Bestärkung, auf Leckerli reduziert. Diese Denkweise greift nicht nur viel zu kurz, sondern ist veraltetes Denken und reduziert das Verhalten eines Hundes auf Reiz-Reaktion, sog. Behaviorismus. Inzwischen ist man in der Psychologie viel weiter. Der Behaviorismus wurde in der Wissenschaft vom sog. Kognitivismus abgelöst, welches die Komplexität des Hundewesens nicht ausreichend, aber wenigstens etwas umfassender berücksichtigt.

Nichts geht über ein herzhaftes und authentisches Lob im richtigen Moment, wo der Hundehalter sich selbst einbringt, Freude zeigt und diese mit seinem Hund teilt, d.h. positive Belohnung/Bestätigung/Bestärkung in der Königsklasse.

In diesem Zusammenhang möchte ich gerne die Publikation «Hunde erfolgreich erziehen ohne Bestrafung – und die Erde ist eine Scheibe» von Dr. Iris Mackensen-Friedrichs empfehlen, deren Meinung und Erfahrungen ich teile. Die Publikation können Sie hier lesen.

2.13 Ignorieren

Das Thema «IGNORIEREN», welches sowohl mit Abbruchsignalen und Korrekturen wie aber auch mit BELOHNUNG und BESTRAFUNG eng verwandt ist, ist eine weitere Fragestellung, welche ich oft höre.

Aus meiner Sicht und Erfahrung gilt folgendes:

  • Wenn ein Hund z.B. auf die Hinterbeine aufsteht und die dreckigen Vorderpfoten auf das helle Hosenbein abstützt, hat kein Hundehalter Freude. Es reicht meistens, dass man ein Abbruchsignal «Schht» kommuniziert, sich demonstrativ wegdreht und dem Hund dabei keine Aufmerksamkeit (Augenkontakt, Stimme, Berührung) schenkt bis zum Zeitpunkt wo seine Absicht nicht mehr vorhanden ist. D.h. man wartet ab, bis der Hund sich wieder entspannt und lobt ihn für die Entspannung – nicht vorher.
  • Bis der Hund gelernt hat, dass sein Verhalten wirklich nicht geschätzt wird, braucht es Wiederholungen. Für jede Wiederholung erhöhe ich die Energie hinter dem Abbruchsignal «Schht», weil das Verhalten des Hundes meistens darauf zeigt, dass der Mensch die Stärke der Intention des Hundes nicht korrekt kalibriert hat. Bei einem hartnäckigen Hund würde ich ab ca. der fünften Wiederholung eine leichte Korrektur, z.B. Schubs (siehe 2.10. oben) einbauen, weil er dann eigentlich gelernt haben sollte, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist.
  • Einen Hund für längere Zeit als im Moment zu ignorieren halte ich für kontraproduktiv. Wir dürfen hier die Beziehung, Bindung und Einfluss der Hormone, wie im Kapitel 2.1 oben erwähnt, nicht vergessen. Im Wolfsrudel führt unter anderem das Ignorieren und eine konsequente Futterreduktion dazu, dass der Betroffene sich nicht willkommen und aufgehoben fühlt, was dazu führen kann, dass er das Rudel verlässt. Studien zeigen, dass dieses Verhalten auch dann eingesetzt wird, wenn es für ein Rudelmitglied Zeit wird, das Rudel zu verlassen.
  • Deshalb erachte ich Hundehalter der «alten Schule», die den eigenen Hund während längerer Zeit, Stunden – Tagen – Wochen, als Strafe oder erzieherische Massnahme ignorieren, nicht nur als inkompetent, sondern auch als tierschutzrelevant.

2.14 Leitplanken

Leitplanken sind aus meiner Sicht ein sehr wichtiges Thema für den Hundehalter und Hundetrainer zu verstehen. Generell sage ich immer zu den Hundehaltern, dass alles was wir dem Hund (und uns selbst zum Thema Hund) beibringen, sowohl für den Hund wie auch für den Halter von Vorteil sein muss. Hat es nur für einen der beiden einen Vorteil, lassen wir es lieber sein.

Wir verwenden LEITPLANKEN einerseits, um dem Hund klare Grenzen aufzuzeigen, damit wir uns auf den Hund verlassen können. Andererseits aber, geben die Leitplanken dem Hund klare Orientierung und er lernt, dass er sich innerhalb den (virtuellen) Leitplanken frei bewegen kann, was wiederum zu einer entspannten Beziehung führt.

Für einen noch nicht stabilen Hund hilft es deshalb, wenn man am Anfang die virtuellen Leitplanken enger setzt und mit zunehmender Beziehung und Bindung diese in kleinen Schritten vergrössert. Wichtig dabei ist es aber konsequent zu bleiben, damit der Hund klar versteht, was ich von ihm will und er diese Hilfestellung als positiv erlebt. Um auf das obige Beispiel mit den hellen Hosen zurückzukommen: Der unerfahrene Hund kennt den Unterschied zwischen hellen und dunklen Hosen nicht, deshalb gilt auch hier 100% konsequent zu sein und bei den definierten Leitplanken zu bleiben. Dies gilt insbesondere bei einem unsicheren Hund – Leitplanken geben ihm eine wichtige Struktur.

Beispiel: Ein unsicherer Hund hat gelernt, dass er sich bei jeder Hundebegegnung in die Leine wirft und den anderen Hund anbellt unter dem Motto «Angriff ist die beste Verteidigung». Vorausschauend erkennt man die potentielle Situation bevor er seine Absicht mit Körperspannung signalisiert und zeigt ihm, dass er sich auf der abgewandten Seite aufzuhalten hat und führt ihn ruhig, souverän und konsequent an der «Gefahr» vorbei.

Der Halter hat mit seiner Intervention damit vorgelebt, dass:

  • Er die Situation unter Kontrolle hat und überlässt die Regelung dieser nicht den Hunden
  • Er seine Führungsrolle konsequent wahrnimmt und für Sicherheit sorgt, d.h. die Aufgabe seines Hundes ist es, neben ihm zu laufen
  • Der eigene Hund zunehmend lernen kann, dass ein anderer Hund nicht per se eine Bedrohung darstellt
  • Das neue Verhalten der beiden für beide wesentlich angenehmer ist.

Es trifft also zu …

… dass man im Bereich der Ausbildung (C) die Konditionierung mit Leckerlis, Spielzeuge, Clicker etc. gezielt einsetzen kann – so werden z.B. auch Delfine ausgebildet, um Kunststücke vorzeigen zu können.

Es trifft aber nicht zu …

…  dass die Methoden in der Ausbildung (C) als Ersatz für den zielführenden Beziehungs-, Bindungs-, Sozialisierungs- und Erziehungsaufbau der Hunde eingesetzt werden können – auch nicht unter dem Vorwand «neuer Forschungserkenntnisse* im Lernverhalten des Hundes» und wie man es heutzutage mehrheitlich in den Hundeschulen sieht. Es handelt sich hier um völlig unterschiedliche Ebenen!

Heutzutage werden Hunde zu viel ausgebildet, weil dies einfacher ist, und zu wenig erzogen, was aber vom Halter wesentlich mehr verlangt. Es ist tatsächlich so, dass ein gut ausgebildeter,  der perfekt «Sitz!, Platz!, Bleib!» ausführt, zugleich z.B. respektlos mit Menschen oder Artgenossen umgehen kann.

Oder etwas plakativ ausgedrückt – auch beim Menschen kann man soziale Konflikte und Verhaltensauffälligkeiten leider nicht mit Gummibärchen lösen.

* Kurz zum Thema «neue Forschungserkenntnisse»:

Die heutigen Ausbildungsmethoden stammen mehrheitlich vom Amerikanischen Psychologen B. F. Skinner, 1904 – 1990, der prominenteste Vertreter des Behaviorismus. Er prägte die Bezeichnung operante Konditionierung und programmiertes Lernen. Seine Arbeit stammt von Mitte 20. Jahrhundert. D.h. die sogenannten «neuen Forschungserkenntnisse» sind mittlerweile ca. 75 Jahre alt (siehe auch Kapitel 2.12 Belohnung und Bestrafung oben).

Skinner’s Arbeit mit operanter Konditionierung bei Tieren wurde von Bob Bailey und seiner Frau Marian, die Studentin bei Skinner war, erweitert. Sie wurden für ihr Hühnertraining bekannt und leiteten sog. Chicken Camps in den USA, wo Hühner konditioniert/ausgebildet wurden.

2.15 Artgerecht Verhalten formen

Dieses kurze Video zeigt eindrücklich wie eine erfahrene Hündin das unerwünschte Verhalten ihrer Welpen formt. Es ist die Aufgabe der Hundehalter, nahtlos die Erziehung fortzusetzen, wenn der junge Welpe, oder der neue Hund, in die Familie kommt.

Oft sehe ich aber, dass die Kernaufgaben Sozialisierung und Erziehung nicht konsequent weitergeführt werden. Vielmehr beobachte ich wie Hundehalter dem Hund gefallen wollen und werden Kumpel, Spielpartner und Leckerli-Verteiler, anstatt ihre verantwortungsvolle Coaching-, Begleitungs- und Führungsrolle wahrzunehmen, d.h. sie gehen eine Beziehung mit ihrem Hund ein, aber geben der Beziehung nicht die Möglichkeit, sich in eine Bindung zu entwickeln.

Das Video zeigt die obigen Kapitel 2.8 – 2.13 in der praktischen Umsetzung

Kapitel 2.8. Die eigene Führungsverantwortung wahrnehmen
Die Hündin übernimmt die Führung  der 8 (!) jungen Welpen. Sie kommt souverän rein und ignoriert alle Welpen aufgrund der unerwünschten, aufgedrehten Energie. Sobald die Welpen aufdringlich werden, wartet sie nicht, sondern gibt sofort und konsequent an, welches Verhalten sie von ihren Welpen erwartet.

Ob 1 oder 8 Hunde, alle werden identisch geführt. Wie viele Hundehalter sind in der Lage 8 solche Welpen, oder generell 8 Hunde zu führen?

Kapitel 2.10. Abbruchsignale und Korrekturen
Als die Welpen zu stürmisch werden, fordert sie Ruhe ein, klar und unmissverständlich.

Kapitel 2.11. Kalibrieren – die richtige Intensität von Energie, Abbruchsignalen und Korrekturen
Sie passt die Stärke ihrer Intervention der Energie der Welpen an, bis der letzte Welpe auch ruhig ist. Dabei behält sie alle Welpen unter Kontrolle.

Kapitel 2.12. Belohnung und Bestrafung
Nur weil die Welpen ruhig sind, werden sie nicht gelobt (aus menschlicher Sicht), was auch völlig falsch wäre. Hier ist ein gutes Beispiel von «negativer Belohnung», s. Kap. 2.11. Normalverhalten wird eingefordert.  Wenn alle ruhig und entspannt sind, dürfen sie ev. Milch trinken, d.h. positive Belohnung. Es ist verständlich, dass sie die aufgedrehten Welpen mit den spitzigen Zähnen nicht an ihre Zitzen lässt.

Kapitel 2.13. Ignorieren
Wären die Welpen hier weiter fortgeschritten in ihrer Entwicklung, hätte die Mutter das weniger hektische Verhalten ausschliesslich demonstrativ ignorieren können und sobald die Welpen zu Ruhe gekommen wären, Aufmerksamkeit geben oder Milch trinken lassen.

Kapitel 2.14. Leitplanken
Die Hündin zeigt klar, welches Verhalten sie nicht will und setzt die Leitplanken. Wenn der Hund die Leitplanken versteht, lernt er auch, dass er sich innerhalb der Leitplanken frei bewegen kann.

Auch in diesem Video zeigt eine Mutterhündin vorbildlich, wie sie mittels Energie, Körpersprache und -Haltung ihren Welpen Respekt beibringt. Erst wenn sie das Spielzeug loslässt, sich davon entfernt und den Kopf wegdreht dürfen die Welpen zum Spielzeug.

So funktioniert es auch in einem Wolfsrudel der Natur wenn eine Beute erlegt wurde. Erst wenn die «Ranghöheren» fertig gefressen haben und sich von der Beute entfernen, dürfen die «Rangniedrigeren» ran.

Hunde müssen Respekt lernen – können dies aber nur, wenn die Hundehalter ihre Führungsverantwortung übernehmen und artgerecht erziehen. Ein gut und artgerecht erzogener Hund ist ein glücklicher Hund.

2.16 Wichtige Punkte für das andere Ende der Leine

Bitte lesen Sie folgende 20 Punkte aufmerksam und verknüpfen sie diese mit den obenerwähnten Eckpfeilern, sie sind fundamental für die solide Entwicklung eines Hundes:

  1. Hunde sind Rudeltiere, genau wie ihre Vorfahren, die Wölfe. Die meisten Hunde würden in der Natur oft nicht alleine überleben, deshalb bilden sie ein Rudel. Es ist Teil der DNA eines Hundes zu kooperieren – sie wollen kooperieren.
    Deshalb muss der Hundehalter seinem Hund zwingend ein Umfeld/Rudel geben, in welchem der Hund sich artgerecht aufgehoben und beschützt fühlt. Nur so kann der Hund seine kooperative Fähigkeit entfalten.
  2. Ein Rudel ist eine Sozial- und hierarchische Struktur, in welcher jedes Mitglied definierte Aufgaben und Verantwortungen hat.
    Der Hundehalter muss seinem Hund Aufgaben und Verantwortungen geben – und sein Hund muss verstehen, welche diese sind. Versteht oder bekommt er diese nicht, sind seine Grundbedürfnisse nicht gedeckt und er wird höchstwahrscheinlich mit unerwünschtem Verhalten reagieren.
  3. Ein Rudel bildet die Struktur, um erfolgreich Nahrung jagen, sich gegenseitig beschützen und vermehren zu können.
    Im Rudel des Hundehalters ist der Hundehalter dafür verantwortlich, Nahrung zu jagen bzw. im Schrank zu finden. Er gibt seinem Hund auch den benötigten Schutz vor anderen Rudeln und Gefahren. Deshalb muss er seinem Hund andere Aufgaben geben, damit der Hund sich als Teil seines «Rudels» fühlt.
  4. Ein Rudel ist keine Demokratie; Hunde und Wölfe benötigen eine Hierarchie mit klaren Regeln.
    Der Hundehalter muss die Regeln für sein Rudel definieren, welche genau beschreiben, was erlaubt ist und was nicht. Er muss seinem Hund diese zuerst beibringen und dann mit 100% Konsequenz authentisch einfordern, d.h. Erziehung.
  5. Ein Rudelführer in einem Wolfs- oder Hunderudel erreicht seine Position, weil er kontinuierlich mentale, emotionale und physische Stärke zeigt, d.h. der Hund kann zu seinem Halter Vertrauen und Bindung aufbauen.
    Ein Rudelführer ist immer souverän, ruhig und durchsetzungsfähig. Wölfe und Hunde haben kein Vertrauen und verlassen sich nicht auf einen unruhigen, nervösen und instabilen «Rudelführer».
  6. Nervöse und unruhige Energie vom Rudelführer ist der Anfang einer Abwärtsspirale.
    Hier befindet sich oft eine der Ursachen einer schwächeren Beziehung zwischen Hund und Halter. Hunde gereizt zurechtweisen, anschreien, oder gar schlagen, ist für den Hund nicht nur ein Zeichen von Schwäche anstatt von Stärke, sondern für ihn auch schwer verständlich, wenn er dafür bestraft wurde, dass er in einer schwierigen Situation probierte alles richtig zu machen.
  7. «Rudelführer», Mentor und Coach für Ihren Hund zu sein, ist eine 24h / 7 Tage pro Woche Aufgabe, insbesondere bis eine starke Bindung entstanden und die Erziehung belastbar ist.
    Sobald ein unsicherer Hund das Gefühl hat, die souveräne Führung fehlt, bedeutet dies – in den Augen des Hundes – dass der Hundehalter Führungsschwäche zeigt und somit, dass die Sicherheit des Rudels gefährdet ist.
  8. Ein Hund, der gesamtheitlich gesehen, nicht richtig verstanden und entsprechend geführt wird, zeigt oft unerwünschtes Verhalten. Wenn er sich nicht aufgehoben und beschützt fühlt, reagiert er oft mit nervösem und unerwünschtem Verhalten. Die typische Reaktion des Hundehalters ist Nervosität und Unsicherheit, der Hund wird «korrigiert», was für den Hund nur eine Bestätigung ist, dass die Führungsqualitäten des Halters nicht ausreichend sind. Oft entsteht aus diesem typischen Ablauf ein Teufelskreis.
    Die «Führungsschwächen» des Hundehalters versetzt den Hund in eine schwierige Konfliktsituation bezüglich Vertrauens zum Hundehalter, da 95% der Hunde nicht als Rudelführer geeignet sind.
  9. Stellen Sie sich kurz vor: Ein unsicherer Terrier geht mit seinem grossen Hundehalter auf einen Spaziergang.  Der Hund zieht an der Leine und zieht seinen Halter mit, was nicht selten zu sehen ist. Der Hundehalter ist mit seinem Smartphone beschäftigt und findet es nicht weiter schlimm, oder ist sich dessen nicht bewusst – deshalb hat man vielleicht auch einen kleineren Hund gewählt. Plötzlich sieht der kleine Terrier einen grossen Rhodesian Ridgeback. Ohne Leine, mit erhobenem Kopf und Rute läuft der Ridgeback selbstsicher und zielgenau auf sie zu. Wie geht der Terrier mit der Situation um, wie geht es ihm dabei und wie reagiert er?
    Der kleine Terrier muss jetzt nicht nur schauen, dass er die bevorstehende Konfrontation übersteht, er muss auch seinen Hundehalter beschützen, da er seinem Hund keine Zeichen gibt, dass er die Situation unter Kontrolle hat.
  10. Plötzlich wacht der Hundehalter doch auf, erkennt die potenzielle Gefahr und wird nervös – und die Leine ist die Antenne zwischen Hundehalter und Hund.
    Der Hund benötigt 100% Führung. Bekommt er nur 70%, muss er die fehlenden 30% selbst ausgleichen.
  11. Wölfe und Hunde haben vier mögliche Verhalten, mit welchem sie potenzielle Konfliktsituationen begegnen können: Nicht nur (1) angreifen oder (2) flüchten, sondern auch (3) ausweichen und (4) ignorieren. Für den kleinen Terrier bedeutet dies, falls die Situation eskalieren sollte, dass er nicht flüchten oder ausweichen kann, weil er an der Leine «gefangen» ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein instabiler Hund eine derartige Situation ignorieren kann, ist höchst unwahrscheinlich. Was bleibt übrig?
    Wer trägt die Verantwortung für das unerwünschte Verhalten des kleinen Terriers, der Hund oder der Hundehalter?
  12. Während Ihr Hund sich in der Grundausbildung befindet und Sozialkompetenz aufbaut, belohnen Sie Ihren Hund mit ruhigem und authentischem Lob. Verzichten Sie aber auf Futter und Spielzeuge als Hilfsmittel, um den Hund zu Leistungen zu motivieren.
    Das Wichtigste ist, dass der Hund eine starke Beziehung, Vertrauen und Respekt zu Ihnen aufbaut und nicht zu den Hilfsmitteln.
  13. Die Sozialkompetenz eines Hundes kann nicht mit Futter gestärkt werden!
    Hundehalter und Hund müssen lernen, wie mit Begegnungen und potenziellen Konfrontationen umzugehen. Dies sind Lernprozesse, sowohl für den Hundehalter wie auch für den Hund. Mit Ablenkung und Futter lernen weder Hundehalter noch Hund etwas, sondern können bestenfalls nur die Symptome reduzieren.
  14. Hunde denken und fühlen nicht wie Menschen.
    Deshalb ist es auch respektlos vom Menschen, sie wie Menschen zu behandeln und interpretieren. Ich behandle meinen Hund artgerecht, ansonsten hat er keine Chance zu verstehen, was ich wirklich meine – er will mich verstehen und mit mir kooperieren, wenn er sich als Bestandteil meines «Rudels» fühlt.
  15. Ich zeige nicht mit dem Finger auf meinen Hund, wenn er nicht das macht, was ich von ihm erwarte – drei Finger zeigen dabei immer auf mich.
    Die meisten Hunde-Verhalten sind ein Spiegelbild davon, was ich als Hundehalter vorlebe.
  16. Viele Hundehalter machen den Fehler, dass sie ihrem Hund zu viel Aufmerksamkeit geben. Augenkontakt, Sprache und Berührung sollte gezielt eingesetzt werden, da diese in der Hundesprache eine grosse Bedeutung haben.
    Der Hund muss nicht immer und für alles was er macht gelobt werden. Man kann ihn ruhig für Lob etwas mehr arbeiten lassen, genau so wie sie im Rudel arbeiten und sich konzentrieren müssen. Ich habe noch nie Rudelführer im Wolfsrudel gesehen, die sich immer wieder umdrehen und sich beim Rudel mit Leckerlis dafür bedanken, dass sie kooperieren. Zu viel Lob schwächt die Wirkung des Lobs, nicht nur beim Hund.
  17. Wenn der Hundehalter seinem Hund immer Aufmerksamkeit (Augenkontakt, Sprache und Berührung) gibt, muss der Hund dem Hundehalter keine Aufmerksamkeit geben. Oft sehe ich z.B., dass Hunde, die wenig Anschluss zeigen, immer wieder von ihren Haltern gerufen werden, ohne jedoch, dass der Hund kommt. Der Hund nimmt den Abruf nicht ernst, aber findet es gut, dass der Halter sich immer wieder meldet und sagt, wo er ist.
    Der Hund soll aufgrund einer starken Bindung lernen, dem Hundehalter Aufmerksamkeit und Anschluss zu geben, nicht umgekehrt. Deshalb darf der Hundehalter nicht seine eigenen Kommunikationsbedürfnisse mit den Bedürfnissen seines Hundes verwechseln.
  18. Die Beziehung zum Hund sollte auf gegenseitigem Respekt, Vertrauen und Liebe aufgebaut sein. Der Hundehalter muss sich das verdienen bevor der Hund dazu bereit ist. Respekt einfordern geht auch bei Hunden nicht. Viele Hunde sind instabil bevor sie es aufbauen können. Dass ein Hund «Tricks» oder gewisse «Aufgaben» ausführt, z.B. Sitz und Platz, bedeutet nicht, dass die Beziehung auf Respekt, Vertrauen und Liebe aufgebaut ist.
    Es bedeutet in den meisten Fällen lediglich, dass dem Hund beigebracht wurde, etwas auszuführen, d.h. Ausbildung.
  19. Als Hundehalter und Hundetrainer darf man niemals «Sozialverhalten» mit der «Fähigkeit Aufgaben auszuführen» verwechseln. In der Ausbildung von Hundehalter und Hund gibt es keine «Schnellbleichen», der Hund kann vom Hundehalter nur lernen, was der Hundehalter in der Lage ist zu vermitteln.
    Je mehr Sie Ihrem Hund beibringen für Leckerlis und Spielzeuge zu arbeiten, desto mehr lernt er auch nur für Leckerlis und Spielzeuge zu arbeiten. Für den Hund werden Sie schnell weniger interessant als die Leckerlis und Spielzeuge. So sind wir wieder bei den Hormonen Dopamin und Oxytocin.
  20. Nur wenn der Hund sich mit seinem Rudelführer wohl und gut aufgehoben fühlt, ist er auch bereit mit seinem Halter zu kooperieren. Fühlt der Hund sich aufgehoben, ist es auch für den Hund einfacher mit möglichen Konfliktsituationen umzugehen.
    Der Hundehalter ist immer wach und vorausschauend, er führt und sorgt für die Sicherheit des eigenen kleinen Rudels. So lernt der Hund, dass der Halter konsequent die Verantwortung übernimmt und der Hund kann sich auf ihn verlassen. Die Ruhe im Rudel wird bewahrt und der Hund kann mit zunehmender Sicherheit mehr Aufgaben übernehmen.
Welches der (unter Punkt 11 erwähnten) vier Verhalten zeigt Unix als er beim Pferd, welches den Weg fast blockiert, vorbeilaufen möchte?

2.17 «Scooby-Doo» – kein gutes Beispiel von verantwortungsvoller und verhaltensgerechter Erziehung

Das Verhalten der Caniden ist komplexer als Menschen oft wahrhaben wollen. Professionelle Kynologen und Trainer haben schon lange erkannt, dass es keine Patentrezepte gibt, um sogenannte Verhaltensauffälligkeiten zu neutralisieren. Zudem ist das Verhalten des Menschen am anderen Ende der Leine meist die Ursache für das Verhalten des Hundes – der Hund zeigt lediglich die Reaktion darauf. Wichtig erscheint mir deshalb auch, zwischen «Hunde mit störendem Verhalten» und «Verhaltensauffälligkeit» zu unterscheiden.

Deshalb muss nicht primär der Hund trainiert werden, sondern der Mensch. Damit es aber für den Hundetrainer einfacher wird, einen Hundehalter auszubilden, beobachtet ein kompetenter Hundetrainer das Verhalten eines Hundes und schaut, ob, wie und warum das Verhalten des Hundes eine plausible Reaktion auf das Verhalten des Hundehalters ist.

Immer wieder werde ich von Hundehaltern kontaktiert, die sich am Verhalten ihres Hundes stören. Der Hund zieht an der Leine, er bellt, ist angespannt, oder unsicher, ist abgelenkt und hört nichts, kommt nicht wenn man ruft, oder ist hyperaktiv etc.

Schätzen die Hundehalter die Situation falsch ein und warten zu lange ab – oft mit der Begründung «man muss mit so einem Hund Geduld haben, viel Liebe und Zeit geben, dann kommt’s schon gut» – nimmt das emotionale Leid der Hunde zu und sie zeigen zunehmend Zeichen von Stress. Dies trifft sowohl für sog. Tierheimhunde wie auch für Hunde die in einer Familie aufwachsen zu.

Von den Hundehaltern und Trainern wird das unerwünschte Verhalten oft nicht als Stress erkannt, sondern sie schrauben an allen anderen Schrauben in der gut gemeinten Hoffnung, dem Hund dabei zu helfen. Sei es mit Futterwechsel, Salben, Medikamenten, Yoga für Hunde, neuen Spielzeugen etc. Kurzfristig geht es dem Hund vielleicht etwas besser, aber die Symptome kommen zurück, oder äussern sich in einer anderen Form.

Viele gehen zum Tierarzt, weil der Hund sich vermehrt blutig kratzt, das Fell nicht mehr schön ist, der Hund vermehrt Durchfall hat, oder in der Hoffnung, dass «man» etwas gegen die Hyperaktivität machen kann.

Ein paar davon melden sich bei mir und sagen z.B.: «Das Verhalten ist mit der Zeit aufgetreten und hat sich verstärkt. Mit drei Jahren haben wir Scooby-Doo dann kastrieren lassen. Das hat aber auch nichts genutzt, inzwischen hat er auch angefangen Menschen ins Bein zu kneifen – wahrscheinlich nimmt er eine Bedrohung wahr und will mich beschützen. In den letzten Monaten hat er auch angefangen Fahrräder anzubellen die direkt auf ihn zufahren. Ich weiss aber nicht, ob er auch hier kneifen würde da ich ihn dann an der Leine festhalte. Es kommt mir vor, als wäre er seit der Kastration eher unsicherer geworden.»

Weil das Verhalten «relativ selten vorkommt haben wir keine Ahnung wie wir das abtrainieren können» wurde mir im obigen Fall gesagt. Oft höre ich von Hundehaltern auch: «Wir gehen jeden Samstag in die Hundeschule und üben regelmässig mit ihm. Es scheint nicht viel zu bringen, andererseits wäre sein Verhalten wahrscheinlich noch schlimmer würden wir es nicht tun. Können Sie unserem Hund helfen, wir wollen ja, dass es ihm gut geht.»

IN MEHR ALS 95% DER FÄLLE SIND ES DIE SOZIALEN KONFLIKTE IN DER MENSCH-HUND BEZIEHUNG, WELCHE ZU STRESS UND AUFFÄLLIGEM VERHALTEN BEIM HUND FÜHREN

Stress in der Mensch-Hund Beziehung führt zu Verhaltensänderungen beim Hund, welche aber der Hundehalter oft nicht als Hilferuf des Hundes, sondern als Diagnose «Verhaltensauffälligkeit» kategorisiert und dazu passende, schnell wirkende «Antibiotika» haben möchte.

Vermehrt beobachte ich auch, dass Hundehalter sog. «Patentrezepte» aus den Medien, dem Freundeskreis, oder auf dem Spaziergang aufschnappen und sich damit ein eigenes Bild seines Hundes auf Basis sog. «Fake Facts», oder Irrtümer, aufbauen. Dies, obwohl das erstellte Bild weder in der Ethologie, noch in der Kynologie, oder in den alltäglichen Verhaltensbeobachtungen der Hunde bestätigt werden kann. Die Patentrezepte dienen aber als «Krücke» für die überforderten Halter, von welchen sie oft nur ungerne bereit sind, sich zu trennen.

Manche Hunde «brechen aus» und rebellieren laut, andere leiden in aller Stille. Beiden geht es schlecht.

Zurück zum Scooby-Doo.

Nach ein paar Emails entschied sich der Hundehalter für eine Lektion. Aus seiner Kommunikation verstand ich, dass es keine einfache Lektion wird – aber nicht wegen seines Hundes. Der Halter war von seinem eigenen Wissen und Können überzeugt, eigentlich handele es sich ja um einen «charmanten Hund» und er hatte mich ja nur wegen «eines seltenen unerwünschten Verhaltens» kontaktiert, welches man nun «abtrainieren» wollte.

Die Vermutung wurde auch sofort bestätigt als der Halter mit seinem Auto Richtung Parkplatz abbog wo wir warteten. Scooby-Doo sah meinen Hund Rox, fing an völlig unkontrolliert zu bellen und warf sich mit voller Wucht hin und her gegen die Autoscheibe – ich war davon überzeugt, Scooby-Doo verletze sich dabei. So wie die Scheiben aussahen war dies aber nicht das erste Mal.

Der Halter zeigte aber keine Reaktion, sondern fuhr ruhig weiter als wäre nichts passiert. «Scooby-Doo soll in Freiheit leben und sich selbst entfalten können» sagte er etwas später als ich ihn darauf ansprach.

Sein Hund, auf dem Rücksitz, war aber in einem völlig überdrehten Zustand und versteckte seine Unsicherheit hinter einem Angst-aggressiven Verhalten, was aus meiner Sicht mit Freiheit und Entfaltung eher weniger zu tun hatte.

Als Scooby-Doo aus dem Auto geholt wurde, zog er sofort den immer noch passiven Halter unmissverständlich «durch die Gegend» und entschied sich, die Böschung runter zu stürmen und ab in den Bach zu springen. Dabei zog er so stark, dass der Halter ihn loslassen musste. Der Halter sagte dazu «Er hat sicherlich Durst».

Scooby-Doo kam aus dem Bach zurück und stand freudig, nass und dreckig, beim Halter mit den Vorderpfoten auf, was der Halter zuerst mit Lob bestätigte, «Jetzt kommt er ja zu mir, das lobe ich» und dann zögerlich doch nicht mehr haben wollte.

Während des Vorgesprächs konnte Scooby-Doo sich keine 5 Sekunden ruhig aufhalten, sondern war ausgesprochen unruhig, schaute ununterbrochen in alle Richtungen und zog an der Leine. Des Öfteren warf er sich mit voller Wucht ins Geschirr. Der Halter sagte «Scooby-Doo möchte jetzt spazieren gehen».

Als wir uns bewegten streckte der Hund seine Beine, spannte die Rückenmuskulatur an, streckte den Kopf in die Luft, stellte das Fell, die Augen wurden rund und die Rute zeigte vertikal zum Himmel, obwohl die Normalposition vertikal zum Boden wäre. Sämtliche Muskeln waren angespannt und er wedelte aus Anspannung. Der Halter sagte «Sehen Sie wie er sich freut!?».

Weiter stellte ich fest, dass Scooby-Doo ein Balljunkie war, was mich nicht weiter erstaunte. «Scooby-Doo liebt es mit dem Ball zu spielen und hört nicht auf den Ball einzufordern, bis er ihn bekommt» sagte der Halter stolz.

Unter dem Titel «Stereotypien und Zwangshandlungen» schreiben Prof. Udo Ganslosser und Dr. Sophie Strodtbeck:
«Auch hier ist wieder die erhöhte Persistenz [Kommentar RA: Ausdauer, Beharrlichkeit] ein zusätzlicher Risikofaktor, der die Handlung eben nahezu ermüdungsfrei, notfalls stundenlang wiederholen lässt. Wenn Halter und Trainer dann glauben, einen solchen Hund durch noch mehr Beschäftigung und noch mehr Aktivismus auslasten oder gar ermüden zu können, beginnt eine unheilvolle Spirale, die schliesslich zu einem völlig «durchgeknallten» Suchtpatienten führen kann. Und genau wie in der menschlichen Suchttherapie ist auch bei der Dopaminsucht eines Balljunkies nur noch die konsequente Abstinenz, also das Fernhalten von jeglichem auslösenden Reiz möglich.»

Auch das Kneifen/Zwicken, oder im Englischen «Heeling», welches Hütehunde zeigen, wenn sie Schafe in die Hinterbeine kneifen, wird oft als Stereotypie eingestuft wenn es nicht ausschliesslich für die Arbeit eingesetzt wird. Der Australian Cattle Dog wurde früher «Blue Heeler», «Red Heeler», oder «Queensland Heeler» genannt, d.h. der Name war Programm.

Bei Scooby-Doo handelte es sich um einen intelligenten, mittelgrossen Hund, der als ausgeprägter Arbeits-Hund gezüchtet wurde und für seine Bedürfnisse viel zu wenig Sozialisierung und Erziehung genoss. Obwohl sein Verhalten demjenigen eines Hütehundes ähnelte und das Kneifen Bestandteil seines Repertoires sein könnte, war es naheliegender, dass Scooby-Doo nie gelernt hatte, mit seinen Zähnen richtig umzugehen. Auch mich zwickte er zweimal; dies entstand aber weder als Verlängerung eines Drohverhaltens noch als Resultat einer Aggression. Scooby-Doo war kein aggressiver, sondern ein unterforderter, hyperaktiver, nervöser, hektischer sowie «kopflos» in den Bewegungsmustern reagierender Hund. Er hatte die grundlegenden Umgangsformen nie lernen dürfen.

Aufgrund der mangelnden Interventionen des Halters hatte sich sein Verhalten weitgehend verselbständigt. Deshalb konnte er zu seinem Halter zwar eine dünne Beziehung aufbauen, deren Vorteile er auch schonungslos einforderte. Von einer grundlegenden Zufriedenheit, Ausgeglichenheit und Bindung waren nicht viele Anzeichen vorhanden.

Mit anderen Worten – möglicherweise mit den besten Absichten – hatte der Halter genau das Gegenteil mit seinem Hund erreicht und ihm während vier Jahren viel Leid und Stress zugefügt. Anstatt Scooby-Doo’s auffällige Verhalten als Hilferufe zu verstehen, wurden diese ignoriert und das auffällige Verhalten nahm weiter zu.

In meiner langen Laufbahn mit Hunden sah ich nur selten solch traurige Beispiele von Mensch-Hund Beziehungen. Ein Biss, oder eine physische Verletzung steckt der Hund meist locker weg, aber das tägliche emotionale Leiden wird ihm irgendwann zu viel.

Meine Arbeit mit Scooby-Doo dauerte ca. 30 Minuten. In den ersten 20 Minuten fiel er immer wieder in alte Verhaltensmuster zurück, und ich musste wiederholt seinen «Film im Kopf» mit Abbruchsignalen und klaren Leitplanken – siehe Kapitel 2.9 – 2.13 oben – zerschneiden, Alternativverhalten anbieten und den Film neu zusammensetzen. Mein Fokus war es initial, mit ihm überhaupt einen «Dialog» führen zu können.

Ruhe, Gelassenheit und sanfte Konsequenz führte zu Entspannung, Langsamkeit, Konzentration und Kooperation. Scooby-Doo öffnete sich zunehmend, lief mit lockerer Leine, reagiert gut auf meine feinen Signale, fing an sich sichtlich zu freuen, lehnte sich bei mir an als er Lob bekam und verstand auch warum. D.h. Scooby-Doo reagierte positiv und hundetypisch.

Selbstverständlich waren die 30 Minuten für Scooby-Doo – und für mich – sehr intensiv. Immer wieder musste ich ihm den Weg zeigen, Geschwindigkeit reduzieren, Konzentration einfordern, im richtigen Moment ignorieren oder bestätigen, Leitplanken setzen, Abbruchsignale kommunizieren, loben, feinfühlig all seine Impulse erkennen und vorausschauend darauf agieren etc.

Das ungewohnte Auge würde wahrscheinlich sagen: «Der Trainer ist aber streng mit dem Hund, das ist doch nicht nötig, er macht ja brav mit».

Wer die Scooby-Doo Geschichte kennt und von Hundeverhalten etwas versteht, würde eher sagen: «Schau, wie schnell er sich völlig verändert, es sieht aus als würde er sich jetzt entspannen und er macht einen sichtlich zufriedenen Eindruck».

Wichtige Erkenntnisse für Hundehalter:

  1. Dass der Mensch seine Führungs- und Coachingverantwortung gegenüber dem Hund übernimmt, hat mit einer «autoritären Erziehung» nichts zu tun, sondern gehört zum Grundrecht eines Hundes, der mit dem Menschen zusammenlebt. Genauso wie es zum Grundrecht eines Kindes gehört, dass man ihm Schritt für Schritt beibringt, wie man eine befahrene Strasse überquert.
  2. Menschliche Harmoniebedürfnisse dürfen einer verhaltensgerechten Mensch-Hund Beziehung, Sozialisierung und Erziehung nicht im Weg stehen. Wähle ich eine spezialisierte Rasse (Jagd-, Hüte-, Wachhund etc.), einen anspruchsvollen Hund, der nur mit grossem Aufwand verhaltensgerecht gehalten werden kann, oder einen Hund aus einer Tierrettungsstation, dann sind grössere Aufwendungen für die Sozialisierung und Erziehung meist vorprogrammiert.
  3. Je länger ich mit einer verhaltensgerechten Sozialisierung und Erziehung warte, desto mehr Aufwand muss ich dafür investieren. Hat der Hund sich selbst erfolgreiche Dopamin ausschüttende (Fehl-) Verhalten beigebracht und abgespeichert, wird es aufwendiger diese Verhalten zu lösen und Alternativverhalten zu festigen.
  4. Entweder wird der Hund verhaltensgerecht gehalten, oder nicht. Sozialisierung und Erziehung sind keine «Antrainierungsfächer» à la «ich werde jetzt mit Fido üben, dass er nicht mehr Fahrradfahrer anbellt», oder «wir gehen jetzt Bindung üben». Wie, ganz genau, soll denn so ein «Übungsprogramm» aussehen, wenn ich nicht bei mir selbst anfange und Fido das Gefühl von Sicherheit vermittle, dass ich er sich auf mich in jeder Situation verlassen kann?
  5. Führung wahrzunehmen heisst, dass ich meinem Hund lieber proaktiv zeige, was ich von ihm möchte, anstatt ihn reaktiv zu korrigieren für was ich nicht möchte. Bellt mein Hund auf dem Balkon sobald er einen anderen Hund, oder eine Katze sieht, ist das in vielen Fällen ein hundetypischens Verhalten, aber vom Menschen nicht erwünscht. Deshalb gehe ich zu ihm, zeige keine Aufregung, sondern dass ich sehe, was er sieht, bedanke mich dafür und stelle mich selbstsicher vor meinen Hund mit dem Körper Richtung «Bedrohung». Sobald mein Hund entspannt, lobe ich ihn kurz für die Entspannung und mache aus der Situation kein Drama.
  6. Ein Hund, der längere Zeit keine ausreichende Sozialisierung und Erziehung bekam, wird sich oft mit grösserer Energie gegen eine Veränderung wehren. D.h. auch hier trifft das Thema Kalibrierung zu (s. Kapitel 2.10 oben). Sollte Interventionen notwendig sein, müssen diese entsprechend angepasst werden, sonst erreiche ich damit nichts, oder bekomme sogar ein negatives Resultat.
  7. Konsequent mit einem instabilen Hund umzugehen hat mit «Drill» nichts zu tun und bedeutet auch nicht, dass ich nicht wohlwollend, unterstützend und fürsorglich bin. Es bedeutet vor allem, dass ich für meinen Hund in allen Situationen planbar und stabil bin, was ihm zu Sicherheit und Gelassenheit verhilft. D.h. wenn ich mich 45 Minuten mit meinem Hund intensiv beschäftige und korrekt mit Lob, Energie, Leitplanken, Abbruchsignalen, Korrekturen etc. umgehe, hat mein Hund eine Chance zu lernen, wird geistig herausgefordert, lernt und erlebt was Kooperation ist etc.
  8. Es ist ein weiterer Irrtum von Menschen zu glauben, dass z.B. eine Diensthund Ausbildung, in der mehrere Stunden pro Tag z.T. intensiv gearbeitet wird, etwas ist, was der Hund nicht gerne macht. Ich bin sicher, Scooby-Doo wäre es viel lieber gewesen, eine richtige Förderung und Entwicklung erleben zu dürfen, anstatt vier Jahre mit Orientierungslosigkeit und täglichem emotionalen Leid und Stress umgehen zu müssen.
  9. Der Hund lebt mehrheitlich im Hier und Jetzt, aber trägt Erfahrungswerte und angeeignete Verhalten in seinem Rucksack mit – er hat kein Interesse daran, sich an negativen Erfahrungen festzuhalten. Auch ein Hund, der auf einer sog. Tötungsstation im Ausland war, bereits bei drei Familien platziert und umplatziert wurde etc. braucht nicht primär menschliche Liebe und Mitleid. Vielmehr braucht er «hundische» Liebe, d.h. Mitgefühl, Stabilität, Leitplanken, Rituale, Führung, Begleitung, Coaching, schrittweise neue Erfahrungen, Nähe, Ruhe, Entspannung und Zuneigung.
  10. Wenn die Möglichkeit besteht, einem Hund schnell zu helfen, warum den längeren Weg wählen? Nur weil es für den Hundehalter bequemer ist, oder damit der Trainer mehr Stunden verrechnen kann? Beides ist nicht im Interesse des Hundes.

Danach führte der Halter Scooby-Doo und ich «führte» den Halter, damit er selbst lernen konnte, wie er die benötigte Sicherheit vermitteln und mit seinem Hund agieren und kommunizieren kann. Als Scooby-Doo die richtigen Zeichen zeigte, holte ich meinen Hund Rox dazu und wir arbeiteten entspannt und konzentriert zu viert mit einander.

Später standen wir wieder am Ort des Vorgesprächs. Scooby-Doo befand sich zwischen uns, völlig entspannt, sichtlich zufrieden und sehr müde von der konzentrierten Arbeit, welche für ihn eine Neuigkeit war.

Mit zunehmender Bindung fängt ein Hund an, sich auch draussen am Halter zu orientieren, weil er sich sowohl drinnen wie auch draussen aufgehoben und beschützt fühlt, aber nur wenn der Halter – sinnbildlich – seinem Hund die beschützenden Wände der Wohnung auch ausserhalb der Wohnung gibt. Vertrauen, Respekt und Zuverlässigkeit nehmen weiter zu und somit auch die Bindung zwischen Hund und Halter.

Genauso wie die erwähnten Gummibärchen das Fehlverhalten des Hundehalters nicht korrigieren können, wird es wahrscheinlich nochmals klarer warum das «Leckerli-Training» keine omnipotente Medizin für die 70% der Hunde sind, die störendes Verhalten auf dem Spaziergang zeigen, auch nicht bei Scooby-Doo. Viele Hunde mit Unsicherheiten und Ängsten nehmen draussen keine Leckerlis, weil sie zu abgelenkt und unsicher sind. «Solange Menschen denken, dass Tiere nicht fühlen, müssen Tiere fühlen, dass Menschen nicht denken.»

Eine traurige Geschichte über völlig unnötiges psychisches Tierleid. Ein Hundehalter, welcher im richtigen Moment in der richtigen Dosierung den Hund zurechtweist, genau so wie es im Rudel stattfindet, wird von unwissenden Menschen lauthals als Gewalt kritisiert. Dafür leidet eine Mehrheit der 70% der Hunde täglich um ein Mehrfaches psychisch. Die Halter übernehmen die Verantwortung dafür nicht, was aus meiner Sicht sowohl tierschutzrelevant und auch als unterlassene Hilfeleistung zu bezeichnen ist. Sie werden aber nie dafür zur Rechenschaft gezogen – es ist ja ein Problemhund …

Auf jeden Fall hoffe ich, dass es Scooby-Doo heute besser geht. Ich hoffe aber auch, mit dem obigen Beispiel plausibel erklärt zu haben, wie wichtig die Sozialisierung und Erziehung ist, nicht nur für den Menschen, sondern insbesondere für den Hund.

Wenn die Hundehalter und Hundetrainer nicht erkennen, dass sie über Hundeverhalten nicht genug wissen, wird ihnen auch nicht auffallen, wenn sie den Hund vermenschlichen, anstatt ihm ein art- und verhaltensgerechtes Leben zu geben.

Aufmerksam und konzentriert beim Longieren, ohne Leckerlis – beide 🙂

2.18 «Leinenpflicht für alle» als ultimative Konsequenz des mangelnden Wissens und Könnens der Hundetrainer und Hundehalter

In der heutigen Zeit kommt in der Politik in der Schweiz immer wieder zu Sprache, eine obligatorische Leinenpflicht einzuführen, was ich zum Teil sehr gut verstehen kann. Allerdings würde man die Hunde für das mangelnde Wissen, Können und Einstellung der Hundehalter bestrafen, was weder korrekt noch artgerecht wäre.

Richard David Precht sagt zurecht: «Es gibt zwei Kategorien von Tieren. Die eine glaubt, dass es zwei Kategorien von Tieren gibt, und die andere hat darunter zu leiden».

Die Hundehalter und Hundetrainer müssen erkennen, dass von ihnen mehr verlangt wird. Die Zielsetzung muss sein, dass sogar Nicht-Hundehalter sich über die zufriedenen und folgsamen Hunde freuen und nicht die Ausstellung eines Nachweises, dass man einen Kurs besucht hat. Davon sind wir aber weit entfernt – ich bin sicher, die Hunde und Hundehalter würden sich aber auch darüber freuen.

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